Der Streit um eine judenfeindliche Schmähplastik in Wittenberg geht in die nächste Runde. Nach der Niederlage vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe werde der Kläger jetzt vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, sagte sein Rechtsanwalt am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst.
An der Fassade der Wittenberger Stadtkirche St. Marien prangt seit dem 13. Jahrhundert in etwa vier Metern Höhe ein mittelalterliches Sandsteinrelief: Es zeigt eine als Rabbiner karikierte Figur, die den Schwanz eines Schweins anhebt und das im Judentum als unrein geltende Tier von hinten betrachtet. Zwei weitere als Juden gezeigte Figuren saugen an den Zitzen. Eine vierte Figur hält Ferkel von der Muttersau fern. Die dargestellte „Judensau“ war im Hochmittelalter ein häufig benutztes Bildmotiv der antijudaistischen christlichen Kunst, um Juden zu verhöhnen und zu demütigen.
Der Kläger Herr Michael Düllmann, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, verlangt die Abnahme des Sandsteinreliefs aus dem 13. Jahrhundert, weil er dadurch das Judentum und sich selbst diffamiert sieht.
Das Landgericht Dessau-Roßlau hatte zunächst im Mai 2019 die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hatte die darauffolgende Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das öffentlich sichtbare Relief verwirkliche weder den Tatbestand der Beleidigung, noch verletze es das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, hieß es am 14. Juni beim Oberlandesgericht Naumburg.
Zwar habe das Relief ursprünglich dazu gedient, Juden verächtlich zu machen, zu verhöhnen und herabzuwürdigen. Inzwischen sei es aber Teil eines nicht zu übersehenden Ensembles von Exponaten zu der beanstandeten Schmähplastik. Das liegt daran, dass 50 Jahre nach Beginn der Judenpogrome im Nationalsozialismus die Kirchengemeinde 1988 eine Bodenplatte vor der „Wittenberger Sau“ verlegen ließ, mit der sie sich von dem antisemitischen Relief distanzieren. Der umlaufende Text verbindet die Inschrift der Schmähplastik mit dem Holocaust. Auch eine Informationstafel wurde inzwischen aufgestellt.
Der Kläger könne daher nicht die Entfernung verlangen, weil es an einer „gegenwärtigen Rechtsverletzung“ fehle, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters des VI. Zivilsenats zur Begründung. Die Beklagte habe den ursprünglich rechtsverletzenden Zustand dadurch beseitigt, dass eine Bodenplatte und ein Aufsteller angebracht wurden. Bei Gesamtbetrachtung habe die beklagte Kirche sich erfolgreich vom Inhalt des Reliefs distanziert.
Am 14. Juni hatte der BGH ebenso wie die Vorinstanzen entschieden, dass das als Wittenberger »Judensau« bekannte Sandsteinrelief weiter an der Stadtkirche der Lutherstadt bleiben darf (Az.: VI ZR 172/20).
Isoliert betrachtet, verhöhne und verunglimpfe das Relief zwar das Judentum als Ganzes. Dieser rechtsverletzende Zustand sei durch die beklagte Kirche jedoch durch das Anbringen einer Bodenplatte und eines Aufstellers mit der Aufschrift »Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg« beseitigt worden.