An der Fassade der Wittenberger Stadtkirche St. Marien prangt seit dem 13. Jahrhundert in etwa vier Metern Höhe ein mittelalterliches Sandsteinrelief: Es zeigt eine als Rabbiner karikierte Figur, die den Schwanz eines Schweins anhebt und das im Judentum als unrein geltende Tier von hinten betrachtet. Zwei weitere als Juden gezeigte Figuren saugen an den Zitzen. Eine vierte Figur hält Ferkel von der Muttersau fern. Die dargestellte „Judensau“ war im Hochmittelalter ein häufig benutztes Bildmotiv der antijudaistischen christlichen Kunst, um Juden zu verhöhnen und zu demütigen.
Das Landgericht Dessau-Roßlau hatte zunächst im Mai 2019 die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hatte die darauffolgende Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das öffentlich sichtbare Relief verwirkliche weder den Tatbestand der Beleidigung, noch verletze es das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, hieß es beim Oberlandesgericht.
Der jüdische Kläger Herr Michael Düllmann hatte gegen ein Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg (OLG) vom Februar 2020 Revision eingelegt. Demnach muss das Relief nicht beseitigt werden, weil es seit 1988 in ein Gedenkensemble eingebunden ist. Auf einem Mahnmal befindet sich unter anderem ein Erklär-Text, in dem sich die Gemeinde von der Skulptur distanziert.
Zwar habe das Relief ursprünglich dazu gedient, Juden verächtlich zu machen, zu verhöhnen und herabzuwürdigen. Inzwischen sei es aber Teil eines nicht zu übersehenden Ensembles von Exponaten zu der beanstandeten Schmähplastik. Das liegt daran, dass 50 Jahre nach Beginn der Judenpogrome im Nationalsozialismus die Kirchengemeinde 1988 eine Bodenplatte vor der „Wittenberger Sau“ verlegen ließ, mit der sie sich von dem antisemitischen Relief distanzieren. Der umlaufende Text verbindet die Inschrift der Schmähplastik mit dem Holocaust. Auch eine Informationstafel wurde inzwischen aufgestellt.
Der Kläger könne daher nicht die Entfernung verlangen, weil es an einer „gegenwärtigen Rechtsverletzung“ fehle, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters des VI. Zivilsenats zur Begründung. Die Beklagte habe den ursprünglich rechtsverletzenden Zustand dadurch beseitigt, dass eine Bodenplatte und ein Aufsteller angebracht wurden. Bei Gesamtbetrachtung habe die beklagte Kirche sich erfolgreich vom Inhalt des Reliefs distanziert.